Am Montagmorgen, den 17.10.22, war es nach zweijähriger Coronapause endlich wieder so weit: Am Georg-Gassmann-Stadion starteten 34 Schüler*innen und drei Lehrer*innen um 8.10 Uhr fast pünktlich mit ihrer Studienfahrt mit politisch- und historischem Schwerpunkt nach Berlin. Unser Busfahrer, Chris, brachte uns sicher zum Berliner Hotel, in das wir schnell einchecken konnten, ehe es gleich danach ins Jüdische Museum ging.
Schnell wurde uns vor Ort klar, dass das Jüdische Museum mehr als nur ein Museum ist: es ist eine Gedenkstätte. Dies merkte man bereits an den besonders strengen Sicherheitsvorkehrungen. So wird das Gebäude von der Polizei bewacht und durch Metallbolzen geschützt, die Autos und LKW davon abhalten sollen, Anschläge auf das Museum zu verüben. Nach einer ausführlichen Sicherheitskontrolle (ähnlich wie am Flughafen) durften wir alleine bzw. in kleinen Gruppen das Museum erkunden. Besucher*innen werden das Leben, die Bräuche und die Entwicklung des jüdischen Glaubens nähergebracht. Aber auch die Verfolgung und die systematische Unterdrückung und Ermordung jüdischer Menschen werden thematisiert. Nicht nur inhaltlich ist das Jüdische Museum lehrreich und spannend, sondern auch die Gebäudearchitektur ist äußerst interessant. Das Gebäude, das von Daniel Liebeskind entworfen wurde, ähnelt einer Art ‚Labyrinth‘ aus sich kreuzenden Gängen (Achsen) mit verschiedenen Steigungen. Diese führen z. B. in den Holocaust-Turm oder in den Garten des Exils. In diesem stehen 49 schräg aufgestellte Säulen, auf denen Bäume wachsen. Durch die Säulen fällt es den Besucher*innen ungemein schwer, die Orientierung zu behalten und auf einer geraden Linie zu gehen. Hierdurch sollen die Besucher*innen ansatzweise nachfühlen, wie schwer es für Juden im Exil war, vor dem Hintergrund von Flucht und Verfolgung einen ‚geraden Weg‘ zu gehen. Auch in der Hauptausstellung spielt die Architektur eine große Rolle. Die Räume sind so miteinander verbunden, dass man schnell die Orientierung verliert. Besonders in den Räumen, in denen es um die Verfolgung und Ermordung von Juden durch das NS-Regime geht, fügen sich Architektur und Ausstellung zu einem eindrucksvollen Ganzen zusammen. Durch die kahlen, grauen, trostlosen Wände, das unangenehm kalte Licht und die leicht schrägen Böden wird das bedrückende und beklemmende Gefühl verstärkt.
Das Jüdische Museum war auf jeden Fall einen Besuch wert und die 2,5 Stunden, die wir dort verbracht haben, waren bei Weitem nicht ausreichend. Dennoch konnten wir einen sehr guten Überblick über die Geschichte des Judentums bekommen. Als wir das Museum um 19:00 Uhr verließen, war es bereits dunkel und unser Busfahrer fuhr uns zurück zum Hotel.
Der Dienstag startete mit einer sehr verregneten Stadtrundfahrt in unserem Bus. Wir besichtigten historisch-politisch relevante Orte innerhalb Berlins und erhielten dabei von unserem Stadtführer, Thomas Lukow, eine ausführliche Erzählung mit Schwerpunkten zur NS- und DDR-Diktatur.
Am Nachmittag hatten wir schließlich einen Termin im Auswärtigen Amt. Dort erläuterten uns zwei junge und dynamische Mitarbeiter, Paul und Mo, die verschiedenen Aufgaben des Ministeriums: Wie arbeiten die deutschen Botschaften in anderen Ländern? Wie wird eigentlich Außenpolitik betreiben? Wie funktioniert das Krisenteam? Und wie wird man eigentlich Mitarbeiter*in des Auswärtigen Amtes? Die Hauptaufgabe des Auswärtigen Amtes ist es aber, die Interessen Deutschlands im Ausland zu vertreten, aber auch Besuche von anderen Staatsoberhäuptern und wichtigen Politiker*innen in Deutschland zu planen und zu organisieren. Auf die Nachfrage eines Schülers, wer denn verantwortlich sei, wenn der Präsident der Vereinigten Staaten auf deutschem Boden verletzt würde, konnte Paul Entwarnung geben: „Zum Glück hatten wir eine solche Situation noch nicht und der Präsident der USA reist auch immer mit dem eigenen Secret-Service-Team an.“ Was ein Glück!
Nach einer etwas längeren Mittagspause ging es schließlich aufgrund von Coronabeschränkungen für nur einen Teil der Klasse zum und in das Kanzleramt. Im Vorfeld mussten die Schüler*innen, die mitgehen durften, angemeldet und vom Bundeskriminalamt überprüft werden. Nach einer erneut sehr ausführlichen Sicherheitskontrolle durften wir uns unter der Begleitung von Sicherheitspersonal verschiedenen Räumlichkeiten des Kanzleramtes anschauen. In der ersten Etage befinden sich der internationale Konferenzraum, Regierungsräume und eine Bühne mit Platz für Journalisten. Wir sahen unter anderem Schauplätze, die uns aus den Nachrichten bekannt waren. An einer Wand befinden sich in chronologischer Reihenfolge aufgehängte Gemälde aller ehemaligen Bundeskanzler. Die Idee der Galerie im Kanzleramt hatte Helmut Schmidt. Nun wartet man auf ein neues Kunstwerk in der Galerie: auf das Bild von Angela Merkel.
Als wir nach zwei Stunden um 21:00 Uhr das Kanzleramt verließen, sahen wir noch den Dienstwagen von Olaf Scholz, der offenbar noch im Kanzleramt tätig war, ehe unser Bus uns erneut zurück zum Hotel fuhr.
Unser Mittwochmorgen startete mit einem Besuch bei der hessischen Landesvertretung.
Neben der wohl wichtigsten Tatsache, dass es die Aufgabe der hessischen Landesvertretung in Berlin ist, die Interessen des Landes Hessen gegenüber dem Bund zu vertreten, können wir uns zumindest noch daran erinnern, dass sowohl der Kaffee als auch der Apfelsaft sehr gut und die Kaffeetassen mit dem hessischen Wappen versehen waren.
Von der hessischen Landesvertretung sind wir dann zum Bundesrat gelaufen. Dort haben wir eine Führung bekommen, bei der wir uns hauptsächlich den Sitzungsraum angesehen und einiges über die Aufgaben des Bundesrates erfahren haben. Danach haben wir ein Bundesrat-Planspiel gemacht. Dazu wurde jeder/jedem von uns ein Bundesland zugeteilt, mit Ausnahme von vier Schüler*innen, die sich je zur Hälfte auf Präsidium und Bundesregierung aufteilten. Dann haben wir eine Gesetzesabstimmung mit einigen Redebeiträgen zum Thema Cannabis-Legalisierung unter Bundesratskriterien simuliert. Dabei ist zu beachten, dass der Bundesrat nur mit „Ja“ oder „Nein“ entscheiden kann und keine grundlegenden Gesetzesänderungen mehr vornimmt. Zudem muss jedes Bundesland geschlossen mit „Ja“ oder „Nein“ antworten, kann es sich nicht einigen, muss es sich enthalten.
Am Donnerstag konnten wir, aufgeteilt in drei Kleingruppen, zunächst unterschiedliche Museen – das Pergamon Museum, die Alte Nationalgalerie und das Ägyptische Museum – auf der Museumsinsel besuchen. Im Pergamon Museum konnten wir uns mithilfe der Audioguides einen guten Eindruck und Überblick über die verschiedenen Exponate verschaffen. Das Imposanteste war jedoch ein riesiger, zylinderartiger Raum. Die Wände zeigten ein 360 Grad Panorama, bestehend aus Landschaft und der Abbildung des Lebens in einem griechischen Dorf. Überall tummelten sich Menschen, man sah die Unterschicht und den Adel, man sah einen Tempel, Sklavenhändler und noch vieles mehr. Durch die Sound- und Lichteffekte erschien es einem so, als wäre man ein Teil dieses Lebens. Es war fantastisch. Da der Raum und das Bild sehr hoch waren, stand in der Mitte des Raumes eine Aussichtsplattform mit verschiedenen Etagen, so dass man auf jeder Ebene das unterschiedliche Treiben ganz genau wahrnehmen konnte.
Unsere nächste Anlaufstelle an diesem Tag war der Deutsche Dom. Auch hier erwartete uns wieder ein Planspiel: Im Deutschen Dom gibt es eine Nachbildung des Plenarsaals des Deutschen Bundestages. Dort nahmen wir wie auch im Bundestag nach Fraktionen getrennte Plätze ein, um zu simulieren, wie eine Gesetzesabstimmung vonstattengeht. Wir entschieden uns, über das Thema „Führerscheinnachprüfung ab 65“ zu diskutieren. Dazu mussten wir zunächst parteiintern beraten, um uns jeweils über die eigene Position klar zu werden. Im Anschluss hielt von jeder Partei ein/e Schüler*in eine Rede zu den Forderungen seiner/ihrer Partei. In diesem Kontext kam es schließlich zu der etwas unrealistischen Situation, dass sich SPD, CDU, FDP und die Linke mit ihrer Forderung nach einer Nachprüfung im Alter von 65 Jahren sehr einig waren, während die Grünen und die AFD dagegen stimmten. Nach einer Abstimmung mit Stimmkarten und Hammelsprung wurde dann entschieden, dass der von der SPD gestellte Antrag auf eine Führerscheinnachprüfung ab 65 Jahren mit einer Stimme Mehrheit angenommen wurde.
Anschließend liefen wir zum Bundestagsgebäude und wurden dort einem gründlichen Sicherheitscheck unterzogen. Kurz darauf bekamen wir zunächst die Gelegenheit, im Bundestagsrestaurant zu essen und den schönen Ausblick auf die Spree zu genießen. Witzig zu sehen war, dass es auf der Toilette eine extra Aktenablage gab.
Im Plenarsaal durften wir schließlich eine Stunde lang einer Plenarsitzung beiwohnen und hörten den Politiker*innen der SPD, der CDU, den Grünen und der FDP zu, wie sie vorrangig mit Politikern der AfD zum Thema „politischer Islam“ stritten. Besonders beeindruckt waren viele SchülerInnen von Lamya Kaddor von den Grünen mit ihrer Haltung zum Islam. (Im 63. Protokoll der Plenarsitzung vom 20.10.2022 nachzulesen mit der Nummer 7157.) Auffällig war, dass viele Sitze der Abgeordneten frei waren und die anwesenden Politiker*innen überwiegend Zeit am Handy verbrachten.
Direkt im Anschluss trafen wir Sören Bartol, den Abgeordneten des Landkreises Marburg-Biedenkopf. Er begegnete uns sehr nett und aufgeschlossen und wir redeten über das Klima und die Energiekrise. Es war witzig zu sehen, wie Herr Bartol manchen Fragen gekonnt auswich. Auch redeten wir darüber, wie es ist, Politiker zu sein und dass es manchmal auch schwer ist, mit dem ganzen Hate umzugehen.
Zum Abschluss des Tages gingen wir um 20 Uhr noch hoch in die Reichstagskuppel. Um einen herum sah man die Lichter Berlins. Dank eines klaren Himmels hatte man einen weiten Blick über die Stadt.
An unserem letzten Tag besichtigten wir das ehemalige Stasi-Gefängnis, die heutige Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Aufgeteilt auf zwei Gruppen absolvierten wir neben einer kurzen Einführung jeweils eine Führung mit einem Zeitzeugen, mit dem sich zu einem späteren Zeitpunkt noch die Gelegenheit bot, ein Interview zu führen. Mit den Worten „Alles klarofuzki?“, begrüßte uns der Zeitzeuge Rainer Dellmuth, bevor er uns durch die verschiedenen Räumlichkeiten der Anlage führte. Durch seinen speziellen Humor, den einige als „schroff“, andere wiederum als „lustig“ bezeichnen würden, wurde die Führung zu einem besonderen Erlebnis. Der Grund für seinen besonderen Humor ist laut eigener Aussage jedoch auf etwas Anderes zurückzuführen: „Das ist meine Art, das alles zu verarbeiten. Ohne diese Methode das alles zu verdrängen, wäre ich verrückt geworden“ (frei zitiert). Er erzählte uns zudem, wie die Verhöre abliefen, dass es auf jedem Gang ein Lämpchen gab, das anzeigte, ob ein anderer Insasse auf dem Gang war, um sicherzustellen, dass sich die Insassen nicht trafen. Wir fragten, warum er denn eingesperrt war? Er wäre zu systemkritisch gewesen, wollte in den Westen und hätte „doof nachgefragt“, z. B. im Geschichtsunterricht: „..da habe ich halt gefragt, warum der Stacheldraht vor der Mauer denn zur DDR zeige, wenn man sich vor Eindringlingen aus dem Westen schützen wolle.“
Der gesamte Vormittag in Hohenschönhausen war mehr als nur informativ. Es war erschreckend zu sehen, wie schlimm die Stasi wirklich war und wie wenig – vor allem im Vergleich zur NS-Diktatur – darüber aufgeklärt wird, dass auch die DDR eine Diktatur war.
Müde, aber sehr glücklich über so viele neue Eindrücke und Informationen erreichten wir mit deutlicher Verspätung um 23.30 Uhr Marburg.
Chiara Denitto, Lilith Martens und Tabarek Rashid